Warum er Ilsenburg im Harz liebt

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Halle/MZ. – Zyniker und Misanthrop. Mitleidslos und gehässig. Die feuilletonistischen Etiketten, die dem Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk, Jahrgang 1962 und geboren in Niedersachsen, routiniert zugeschrieben werden, sind so bekannt wie falsch. Auch der neue Erzählband „Der gelbe Elefant“, erschienen im Rowohlt Verlag, zieht die Vorurteile an, auf „SWR Kultur“ hieß es: „Die Strunksche Conditio Humana ist eine zwischen hässlichen Plastikstühlen, zu viel Körperfett und Doppelkorn. Sie kennt keine Hoffnung.“

Abgesehen davon, dass hier Autor und Erzähler unzulässig gleichgesetzt werden, ist also die Einstiegsfrage für ein Telefongespräch gesetzt: Herr Strunk, hassen Sie die Menschen? Noch während in Hamburg das Rauschen des Sprudelwassers zu hören ist, holt Strunk mit seiner markant akzentuierenden Stimme aus: „Mit diesen Vorwürfen bin ich oft konfrontiert! Ich bin den Menschen zugewandt, aber ich schreibe über das, was ich sehe. Und das ist das beschädigte Leben! In welcher Popcorn-Zuckerwatten-Welt leben die eigentlich?“

„Schönheit ist die Ausnahme“

Zackig kommt Strunk auf Touren, nicht nur zwischen seinen Buchdeckeln geht es um Dramen, Brüche und Tragödien. Oder um es mit dem Autor zu sagen, der sofort einen druckreifen Satz zur Hand hat: „Die Hässlichkeit ist die Regel, die Schönheit die Ausnahme!“ Tatsächlich erzeugen auch die Erzählungen im „Gelben Elefanten“, die von sozialen Abgründen über Kuriositäten der Mittelschicht bis hin zu der Erbärmlichkeit der Medienstars reichen, eine Vorstellung von einem ästhetisch anspruchsvollen Leben.

Je präziser man aufs menschliche Leid gestoßen wird, je ehrlicher man sich in den Geschichten selbst findet, je gnadenloser man über sich selbst lachen kann, desto schärfer tritt der Unterschied zwischen unwürdigem und gelungenem Leben hervor. Die Hässlichkeit wird erkannt, wenn man ahnt, was Schönheit ist. Strunks Texte beherrschen dieses Spiel famos. Im Porträt über „Kjell, 27, Computerspezialist“ heißt es: „Sobald er alleine ist, ruckelt er mit der gedunsenen Hüfte und hebt den Gesäßballen, um einen fahren zu lassen. Er mag es, in seinem eigenen Gestank zu hocken und die Nüstern zu blähen, um mitzuverfolgen, wie sich seine Winde mit dem Mief des Raumes und den Zersetzungsrückständen seines Kummers vermischen.“

Hier wird zwischen Klischees, wilder Formulierungslust und scharf gestellten Beobachtungssinn balanciert. Klar, dass da nicht immer das Gleichgewicht zu halten ist. Der Drehbuchautor, Hörspielproduzent und Regisseur erklärt es so: „Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte an meinem Stil gefeilt. Bei meinem Versuch, Literatur mit Humor zu verbinden, will ich originelle Bilder kreieren. Das macht Spaß, aber ich will die Menschen nicht grotesk überzeichnen, sondern sie so einfangen wie sie sind.“

Das gelingt erstaunlich oft, das unterscheidet Strunk von vielen Comedians. Über den Urlaub eines Firmen-Chefs heißt es in einer Erzählung: „Nicht zum ersten Mal hat er sich an einen weit entfernten Ort begeben, nur um festzustellen, dass er unfähig ist, Freizeit und Erholung auch nur in Ansätzen zu genießen. Er ist nicht auf der Welt, um diese zu bereisen, sondern um etwas Sinnvolles zu tun, nämlich: ARBEITEN.“ Erzählt wird schonungslos, aber nicht despektierlich.

Bloß kein Reihenhaus!

Nähert man sich Strunks Biografie, entdeckt man eine schwer erkrankte Mutter, Depressionen oder Spielsucht. Heute kommentiert Strunk Kindheit und Jugend so: „Rückblickend war es eine normale Zeit. Ich bin in einem kleinbürgerlichen Umfeld mit lieben Großeltern aufgewachsen, hatte keine Not zu leiden. Ich hatte Musikunterricht und Instrumente!“

Gab es damals dank der Großeltern, die aus dem Harz stammen, politische Betrachtungen über Ost und West? Strunk entschieden: „Nein! Aber meine Großmutter hat bildliche Geschichten aus Ilsenburg oder Bad Heiligenstadt erzählt. Ich habe mir diese Orte imaginiert.“ Und als er dann wirklich dort war? Manche Sachen klingen zu kitschig, Strunk sagt sie dennoch: „Immer, wenn ich im Harz bin, denke ich an die Jugend meiner Großmutter. Für mich ist Ilsenburg die schönste Stadt, ich kann mir keinen schöneren Ort vorstellen.“

Entdeckt er während seiner Auftritte unterschiedliche Publikumsreaktionen in Ost und West? „Nein! Zu mir kommen Leute, die wissen, was sie erwartet. Die Reaktionen sind überall gleich“, sagt Strunk. Und wünscht er sich als Junggeselle manchmal auch Frau, Reihenhaus und Kinder? Ein Dialog zum Niederknien: „Nein! Niemals!“ Warum nicht? „Darum nicht!“ Einmal warm geworden, protestiert Strunk auch auf die Frage, was das Publikum bei seiner Lesung erwarten darf: „Es ist keine Lesung! Sondern eine Show! Es gibt Musik, Performance, Multimedia. Ich habe Respekt vor der Aufgabe, Leute unterhalten zu dürfen.“ Lesungen soll es wieder geben, wenn Strunk noch in diesem Jahr – anlässlich des 100. Geburtstages von Thomas Manns „Der Zauberberg“ – den Roman „Zauberberg 2“ vorlegt. Vorfreude ist erlaubt.Heinz Strunk auf Tour: am 9. Februar um 20 Uhr im Leipziger Kupfersaal, Kupfergasse 2, www.kupfersaal.de

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