Die Muse hinter dem Dichter: Elisabeth Kunze mit 90 Jahren gestorben 

0

Halle/MZ. – Im Jahr 1959 hört eine junge Ärztin im tschechischen Aussig einige Verse des ostdeutschen Dichters Reiner Kunze im Rundfunk der DDR. So sehr gefallen Elisabeth Littnerová die Zeilen, dass sie den Radiosender um die Zustellung eines Gedichtes bittet. Die Karte wird an Reiner Kunze nach Leipzig geschickt, so dass sich zwischen der Ärztin und dem Schriftsteller ein Briefwechsel entspinnt, der schließlich auf über 400 Briefe anwachsen soll, teilweise 25 Seiten lang.

Liebe auf den ersten Vers

Ein Briefwechsel über Staatsgrenzen hinweg, die zu dieser Zeit noch geschlossen sind. Der Dichter kennt die Adressatin nur von einem Foto, das sie als 17-Jährige zeigt. Am Telefon macht Kunze seiner Brieffreundin einen Heiratsantrag.

1961 wird in Aussig geheiratet, 1962 verlässt Elisabeth ihre Heimat, gemeinsam zieht man ins thüringische Greiz, seit 1977 – der Vertreibung aus der DDR – lebt das Paar, das eine Tochter hat, im bayrischen Obernzell bei Passau.

Eine grenzüberschreitende Verbindung

Kein Märchen, keine Legende, und doch erscheint die Begebenheit als märchenhaft. Sie bleibt es – auch für den spätereren Büchnerpreisträger Reiner Kunze, den auflagenstärksten Dichter in der DDR („Brief mit blauem Siegel“), den Autor des nur im Westen vertriebenen Ost-Generationenbuches „Die wunderbaren Jahre“.

Ohne seine aus dem mährischen Znaim stammende Frau, diese wie selten herzliche, fürsorgliche, im Trubel des Literaturbetriebs immer standfeste Gefährtin, hätte der große, nicht der über die Jahrzehnte aktiv präsente Dichter Reiner Kunze bleiben können. Ohne sie hätte sich ihm nicht die tschechische Poesie eröffnet.

Gemeinsames Leben in der DDR

Ohne Elisabeth Kunze, der er die Verse widmete „auf dich im blauen mantel“: „Von neuem lese ich von vorn / die häuserzeile suche // dich das blaue komma das / sinn gibt“.

Gemeinsam mit seiner Frau hat der heute 90-jährige Dichter die Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung gegründet, eine „Stätte der Zeitzeugenschaft und der Schönheit“, die einmal in dem Wohnhaus der Kunzes entstehen soll.

Das literarische Erbe der Kunzes

Zuletzt widmete Reiner Kunze seiner Frau unter dem Titel „bittgedanke, dir zu füssen“ die Zeilen: „Stirb früher als ich, um ein weniges früher // Damit nicht du / den weg zum haus / allein gehen musst“. Dieses früher ist jetzt. Am 24. Januar, teilt die Familie mit, ist Elisabeth Kunze in Obernzell-Erlau gestorben. Sie wurde 90 Jahre alt.

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.