Das perfekte Paar

0

Dessau-Rosslau/MZ. – Es gibt auch außerhalb Bayreuths Theater mit einer besonderen Wagner-Affinität. In Sachsen-Anhalt ist das Dessau. Vor zehn Jahren machte der Bauhaus-„Ring“ von André Bücker Furore. Den letzten „Tristan“ hat Johannes Felsenstein vor 18 Jahren inszeniert. Auch da hatte schon Iordanka Derilova als Isolde Furore gemacht.

Sie ist seither gereift – ohne sicht- oder hörbares Altern. Sie wirft sich in die Rolle mit einer Mühelosigkeit und durchschlagenden Leuchtkraft, kommt nicht mal in die Nähe einer Begrenzung, legt auch in der Textverständlichkeit zu und ist am Ende beim Liebestod voll da.

Musikalisch stimmt alles

Die Primadonna des Hausensembles ist eine Firstclass-Isolde. Das gilt analog auch für ihren Tristan Tilmann Unger. Es gibt nicht allzu viele Wagnertenöre, die mit klar fokussierter, obendrein wohltimbrierter Stimme diese mörderische Partie bewältigen können, dabei so wortverständlich bleiben und dann im dritten Akt, wo es für den sterbenden Helden in den Fieberphantasien nochmal besonders dicke kommt, immer noch so frisch wirken, als hätten sie gerade angefangen. Beide passen vokal und übrigens auch optisch so fabelhaft als Liebespaar zusammen, dass sie auch überzeugen, wenn sie nur an der Rampe stehen.

Daneben liefert Anne Schuldt als Isoldes Vertraute Brangäne mit betörend satt strömendem Mezzo geradezu eine Lehrvorführung in glasklarer Wortverständlichkeit. Kay Stiefermann ist mit origineller Vitalität der Kurwenal an Tristans Seite. Bei Michael Tews wird König Marke zu einer imponierenden Erscheinung, dem man die Erschütterung über den Treuebruch Tristans anhört, ohne seinen Monolog am Ende des zweiten Aufzuges zu einem balsamischen Solo zu verklären. Barış Yavuz als Melot, David Ameln als Hirte und junger Seemann sowie Paweł Tomczak als Steuermann komplettieren das Protagonisten-Ensemble. Sebastian Kennerknecht hat den Chor einstudiert, der seinen Beitrag sichtbar und akzentuiert leistet.

Musikalisch stimmt von Anfang an alles. Schon weil sich die Anhaltische Philharmonie unter ihrem Generalmusikdirektor Markus L. Frank in beglückender Weise hörbar auf ureigenem Terrain bewegt! Mit der Melancholie, die im Vorspiel wie aus einer anderen Welt herüber weht. Bei Isoldes als Wut und Verzweiflung brodelnder Leidenschaft, die in entgrenzten Jubel ausbricht. Wenn im zweiten Aufzug das „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ betört und Brangäne mit den „Habet Acht“-Rufen die Zweisamkeit bewacht. Immerhin hatte sie durch den Austausch von Todes- und Liebestrank dafür gesorgt, dass die beiden (jenseits von herrschender Sitte und Moral) zusammenfanden.

Vollmond zur Liebesnacht

Aber Tristan und Isolde haben kein Drogenproblem. Es ist das einer unerklärlichen, übermächtigen Liebe, die sie vor der Welt nicht offenbaren und in dieser Welt auch nicht leben können. All das wird in Dessau in eher düsterer Kulisse vor allem zu einem musikalischen Erlebnis, weil Frank dem Orchester vom ersten Ton an Leidenschaft verordnet, die Musik von innen lodern lässt und dabei durchgängig eine Balance mit den Stimmen findet, wie es nur wenigen Dirigenten mit einem Orchester im offenen Graben gelingt.

Dabei ist es fast schon zweitrangig wie das Ganze bei Michael Schachermaier (Regie), Paul Lerchbaumer (Bühne) und Alexander Djurkov Hotter (Kostüme) aussieht. Sagen wir so: Die Inszenierung stört nicht und lässt der Musik den Vortritt. Es gibt eine unverbindlich wuchtige Gerüstarchitektur, die bei geschlossenem Zwischenvorhang Intimität einrahmt und mit einem projizierten Riesen-Vollmond im Hintergrund die Liebesnacht illuminiert. Dazu eine rotausgeschlagene Treppe an der Seite. Im dritten Akt lässt der Regisseur dann illustrierende Originalität eskalieren: Isolde erscheint (wie in Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung) zunächst als vielfaches Traumdouble zu den Fieberfantasien Tristans und dann auch mit den entsprechenden Tristanfiguren an ihrer Seite. Man erkennt nachgestellt das Resümee ihres Lebens. Und vielleicht einen Traum des nichtgelebten gemeinsamen Lebens.

Wenn Isolde den Liebestod singt, holt sie damit Tristan zurück ins Leben und sitzt ihm am Ende an einem simplen Küchentisch gegenüber. Zur musikalischen Überwältigung dieses Abends würde es passen, wenn man ihn in jener anderen Welt vermutet, zu der wir keinen Zugang haben. Es sei denn, man setzt sich der Musik von „Tristan und Isolde“ auf einem Niveau aus wie jetzt in Dessau! Nächste Aufführungen: am 4.2. um 16 Uhr, am 18.2. um 17 Uhr, 25.2. um 16 Uhr und am 29.3. um 15 Uhr.

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.