Comeback aus der Glotze – Wie Netflix alte Musik in neue Hits verwandelt

0

Halle/MZ. – Auf einmal war es wieder in aller Ohren, das Lied, das schon Anfang der 2000er Jahre Millionen in seinen Bann geschlagen hatte. Sophie Ellis-Bextor war damals Anfang 20, ein Talent mit kurzer Bandkarriere und einem Nummer-1-Hit, den sie für Italiens Star-DJ Spiller eingesungen hatte. Nun hoffte Ellis-Bextor auf ihr Debütalbum. Und sie wurde nicht enttäuscht: Ihr Song „Murder on the Dancefloor“ stürmte die Charts und blieb dort 16 Wochen.

Zum zweiten Mal ein Hit

Ein Vierteljahrhundert später ist es, als sei überhaupt keine Zeit vergangen. Sophie Ellis-Bextors „Murder on the Dancefloor“ ist wieder in der Hitparade. Die heute 44-Jährige staunte und nannte es „ein Lied, das mir ein echtes Abenteuer beschert hat“. Doch so unverhofft kommt heute recht oft: Gerade ist auch das 20 Jahre alte „Another Love“ von Tom Odell wieder in den Charts, ebenfalls das sogar aus den 70ern stammende „Stumblin‘ In“, nicht mehr von Chris Norman und Suzi Quatro gesungen, sondern vom australischen DJ Cyril. David Guetta und Kim Petras interpretieren „The Logical Song“, von Supertramp aus dem Jahr 1979, Eminem ist mit „Mockingbird“ aus dem Jahr 2004 vertreten und die US-Band Lord Huron hat mit Phoebe Bridgers eine Neuaufnahme ihrer fast zehn Jahre alten Nummer „The Night We Met“ platziert, die allerdings auch schon aus dem Jahr 2018 stammt.

Altes neu, Bekanntes noch einmal. Und in den meisten Fällen steht vor Erfolg in den Ohren ein Fingerzeig für die Augen: Sophie Ellis-Bextor verdankt ihr unerwartetes Comeback zehn Jahre nach ihrem letzten Top-5-Album „Wanderlust“ der Verwendung ihres größten Hits im Streaming-Drama „Saltburn“. Wie zuvor schon Kate Bush, deren Titel „Running Up That Hill“ 37 Jahre nach der Veröffentlichung durch eine Aufführung in der Serie „Stranger Things“ wieder populär wurde, profitierte auch Ellis-Bextor vom Netflix-Effekt. Alte Ware wie „Long Long Time“ von Linda Ronstadt trifft dank einer aktuellen Streaming-Serie wie „The Last of Us“ auf ein neues Publikum, das nicht einmal ahnte, dass es so etwas gibt. Und begeistert ist.

Alt muss es aber nicht immer sein. Der US-Folksänger Joe Purdy etwa war 27, er hatte vier Alben mit wunderbar leisem, gefühlvollem Folk aufgenommen und war zufrieden damit, neue Songs zu schreiben und auf Tour zu gehen. Auf Weltruhm hoffte der Mann aus Arkansas nicht. Sein Motto lautet schließlich „traurige Lieder retten Leben“.

Ein Anruf von Brian Burk, einem der Produzenten der damals bahnbrechenden Serie „Lost“, änderte alles. „Ich brauche ein Lied über jemanden, der auf einer Insel gestrandet ist“, sagte Burk. Purdy spielte ihm seinen Song „Wash Away“ am Telefon vor. Ob er den 40 Sekunden länger machen könne? Ja. Drei Wochen später hatte Joe Purdy etwas, womit er nie gerechnet hatte: Einen Hit.

Gezielte Suche nach Musik

Heute ist aus dem Zufallsgeschehen rund um die preisgekrönte Erfolgsserie „Lost“ eine Hitmaschine geworden. Hatte die Band The Buggles das Aufkommen der ersten Musikvideos Ende der 70er Jahre noch mit der düsteren Prognose „Video killed the Radio Star“ begleitet, sorgen ausgerechnet Bildschirmerfolge heute für Hitnachschub. Alte und neue Lieder, die unter riesigen Bergen von neuen Produktionen vergraben sind, schaffen es dank Netflix- und Amazon-Prime-Serien, Massen zu begeistern.

Die US-Band Lord Huron kann ein Lied davon singen. Ihr Song „The Night We Met“ war eigentlich nur als kleine Ballade gedacht, die das Album „Strange Trails“ beschloss. Dann aber tauchte die Nummer in der Netflix-Serie „13 Reasons Why“ auf und die Begeisterung kannte keine Grenzen mehr. Bis heute haben das Lied allein bei Youtube mehr als 300 Millionen Menschen gehört.

Aufgelöst zum Hit

Ähnlich ging es der britischen Band The Buffseeds, die sich schon aufgelöst hatte, als die Macher von „Grey’s Anatomy“ beschlossen, eine dramatische Szene mit dem Song „Sparkle Me“ zu unterlegen. Auch „Chasing Cars“ von Snow Patrol wurde durch „Grey’s Anatomy“ und „One Tree Hill“ ein Hit, Jill Andrews landete mit einer Coverversion des alten Bonnie-Tyler-Hits „Total Eclipse of the Heart“ ihren größten Erfolg und auch die US-Band Bon Iver verdankt ihre ersten Charterfolge den TV-Serien „One Tree Hill“ und „Chuck“.

Obwohl Serienmacher sich schon lange nicht mehr auf Eingebungen und eigenen Geschmack verlassen, sondern Spezialisten beschäftigen, die nach Soundtrackmusik forschen, hilft manchmal immer noch der Zufall. Jake Smith etwa musizierte schon Jahre als The White Buffalo, ehe der Star-Surfer Chris Malloy sich in sein Stück „Wrong“ verliebte und es in einem Film unterbrachte.

Von da an ging alles wie von allein: Der Smith, ein Zausel aus Oregon, wurde zum Chefmusiklieferanten von „Sons of Anarchy“. Seine Version von „House of the Rising Sun“ zog sogar das Original der Animals wieder in die Höhe. Seine Adaption von Queens „Bohemian Rhapsody“ und die Eigenkomposition „Come join the murder“ etablierten den 49-jährigen schließlich als Künstler, der keine Mühe hat, große Hallen zu füllen.

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.