Wirtschaftsweise Schnitzer: „Lage kann man nicht nur der Regierung in die Schuhe schieben“

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Halle/MZ – Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich aktuell deutlich schlechter als die anderer Industrienationen. Auch die Stimmung bei den Firmenchefs ist miserabel, die Ampel-Koalition wird dafür zum großen Teil verantwortlich gemacht. Wirtschaftsforscherin Monika Schnitzer sieht jedoch fundamentale Probleme in der deutschen Wirtschaft, die schon seit längerer Zeit angelegt sind. Durch die gestiegenen Energiepreise treten diese nun stärker zu Tage. Als Vorsitzende des Sachverständigenrates (Wirtschaftsweise) berät die Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Universität München auch die Bundesregierung. Welchen Rat gibt sie Kanzler Olaf Scholz (SPD)? Wirtschaftsredakteur Steffen Höhne sprach mit Schnitzer.

„Die deutsche Volkswirtschaft weist seit Beginn der Corona-Pandemie das geringste BIP-Wachstum im Euro-Raum auf“, heißt es in Ihrem Jahresbericht 2023/24. Wie konnte das trotz der Milliarden-Hilfspakete passieren?

Monika Schnitzer: Das hängt stark mit unserer Wirtschaftsstruktur zusammen. Am Anfang der Corona-Pandemie hatten vor allem die Tourismus-Regionen im Süden Europas herbe Einbrüche. Doch als Exportnation haben wir dann darunter gelitten, dass die Ausfuhren nach China deutlich zurückgingen. Das haben wir aber noch ganz gut gemeistert. Doch dann kam der Ukraine-Krieg und in dessen Folge die Energiekrise. Als Wirtschaft mit noch vielen energieintensiven Firmen hat uns das viel stärker getroffen als andere europäische Länder. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Faktor. Zudem bekommen wir immer stärkere demografische Probleme, uns fehlen in vielen Bereichen Fachkräfte. Auch das bremst viele Unternehmen.

Zu Beginn des Ukraine-Krieges haben Sie sich skeptisch zu einem Gas-Embargo geäußert. Wie hart trifft uns der Verlust von russischem Erdgas?

Mein Argument war damals, dass sich die Unternehmen nicht von heute auf morgen umstellen können. Wir haben es mit viel staatlichem Geld und durch die schnelle Beschaffung von Flüssiggas geschafft, einen Gasmangel zu vermeiden. Doch die Firmen vor allem aus der Chemie-Industrie müssen sich jetzt auf langfristig höhere Energiepreise einstellen. Das ist ein schwieriger Prozess.

Die Chemie-Industrie in Sachsen-Anhalt hat die Produktion deutlich heruntergefahren. Doch große Pleiten oder Werkschließungen gab es noch nicht. Kommt das noch?

Ich glaube nicht, dass es zu Insolvenzen oder Produktionsschließungen im großen Stil kommen wird. Was wir derzeit schon sehen, ist, dass einzelne Produkte nicht mehr produziert werden. So werden beispielsweise Ammoniak-Anlagen stillgelegt. Das hat auch dazu geführt, dass Deutschland 2023 viel Energie gespart hat. Doch viele Chemieunternehmen haben ein breites Produktportfolio. Der Weg muss hin zu höherwertigen Produkten gehen, einfache, energieintensive Chemikalien werden wir verstärkt importieren müssen.

Als Mitglied des Sachverständigenrates sind Sie Beraterin der Bundesregierung. Schreiben Sie nur Berichte oder haben Sie auch einen direkten Draht zu Kanzler Olaf Scholz? Ruft er Sie an?

Dass Herr Scholz uns direkt fragt, ist eher seltener der Fall. Vor und nach unseren Gutachten stehen wir aber im direkten Austausch mit Mitgliedern der Bundesregierung. Da gibt es auch gemeinsame Mittagessen. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass wir in engem Kontakt mit den Staatssekretären und den unteren Ebenen in den Ministerien sind, die die Gesetze vorbereiten. In der Energiepreiskrise haben wir Vorschläge gemacht, wie Hilfen gegeben werden können. Es gab viele Diskussionen. Das war dann mehr Politikberatung als Wissenschaft.

In Halle war gerade der Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. Die Stimmung bei den Firmenchefs ist gefühlt schlechter als bei der Wirtschaftskrise 2008/09 und in der Corona-Pandemie. Es besteht Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, und die Ampel-Koalition wird dafür verantwortlich gemacht. Ist diese Kritik berechtigt?

Nein. Alles, was wir aktuell sehen, ist schon länger angelegt. Die Abhängigkeit von russischem Gas hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Wir haben in Deutschland fundamentale Probleme, wie einen zu alten Kapitalstock. Wir sind nicht der kranke Mann Europas, sondern der alte Mann. Das gilt für die Ausrüstung mit Maschinen und auch in der Demografie. Wir haben zu wenig Start-ups, wir haben zu wenig in die Digitalisierung investiert. Dass einzelne Maßnahmen der Bundesregierung nicht besonders glücklich waren, darüber müssen wir nicht streiten. Das ist offensichtlich. Doch die aktuelle Lage kann man nicht nur der Regierung in die Schuhe schieben, das haben auch die Unternehmen selbst mit zu verantworten.

China und die USA fördern massiv Schlüsseltechnologien in IT, Automobilbau und erneuerbaren Energien. Muss Deutschland da mitmachen, um nicht abgehängt zu werden?

Wir unterstützen auch stark die Wirtschaft – aber anders. Wir fördern vor allem die Forschung, aber nicht so marktnah die einzelnen Firmen. Das lässt sich natürlich ändern. Wir sehen auch, wie die EU und Deutschland Schlüsselbranchen für sich definieren. Die politischen Prozesse sind aber sehr langsam. Es ist auch eine gesellschaftliche Frage.

Warum?

Ich nenne mal ein Beispiel: Im bayrischen Landkreis Altötting soll ein großer Windpark für das Chemie-Unternehmen Wacker entstehen. Es ist ein sehr großer Arbeitgeber in der Region. Die CSU und die Freien Wähler unterstützen das politisch, doch die Gemeinde vor Ort ist mit zwei Dritteln dagegen. Da stellt sich auch die Frage, ist die Bevölkerung für einen Wandel bereit.

Der Bund will Ansiedlung von zwei Intel-Chipfabriken in Magdeburg mit zehn Milliarden Euro fördern. Ist das Geld gut angelegt?

Ich bin aus zwei Gründen für diese Unterstützung. Erstens die geopolitische Situation: Europa benötigt eine eigene, vielseitige Chipindustrie, um politisch nicht erpressbar zu werden. Zweitens kommen Investitionen in Zukunftstechnologien ins Land, die sonst nicht gekommen wären. Für Ostdeutschland ist Intel und TSMC in Dresden wichtig, weil die Entwicklung einer Branche massiv vorangetrieben wird. Ostdeutschland leidet darunter, dass es zu wenig Großunternehmen gibt. Auch hier hilft die Intel-Ansiedlung und dessen Zulieferer.

Befürworten Sie auch den Schutz der deutschen Solarindustrie, um nicht einseitig von China abhängig zu sein?

Wenn die Politik sagt, das ist eine strategisch wichtige Branche für uns, dann muss man sie unterstützen. Doch bei der Solarbranche muss man sich das genau anschauen. Es gibt außer China in Asien auch noch andere Lieferanten. Man muss sich nicht so stark abhängig machen. In der Solar-Industrie sind zudem Skaleneffekte sehr wichtig. Die Chinesen produzieren so günstig, weil sie riesige Fabriken haben. Das lässt sich hierzulande schwer aufholen. Wollen wir langfristig eine Solarindustrie in Deutschland subventionieren? Da würde ich schon gern die Konzepte der hiesigen Solarbranche sehen, damit das nicht passiert.

Wenn Bundeskanzler Scholz Sie morgen anrufen und fragen würde, welche Maßnahme zur Verbesserung der Situation er als erstes ergreifen soll, was würden Sie antworten?

Eine Einzelmaßnahme könnte ich da leider nicht nennen. Was ich aber als sehr großes Manko sehe, ist die fehlende Digitalisierung der Verwaltung und die ausufernde Bürokratie. Wer in Deutschland etwas aufbauen will, wird regelrecht ausgebremst. Das liegt vor allem an komplizierten Gesetzen und Regelungen. Diesen Bürokratieabbau müssen wir mit Wucht angehen. Das Gute dabei, es kostet nicht viel Geld und spart am Ende immens.

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