Wie Stephanie Kiwitt die Seele von Sachsen-Anhalt zeigt

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Köthen/MZ. – So sieht es aus. Das sagen Menschen, wenn sie einen Tatbestand zur Kenntnis nehmen. Es liegt keine Begeisterung in diesem kurzen, nüchternen Satz. Aber er kündet auch nicht zwingend von Resignation. So sieht es aus – danach kann es weitergehen. Muss ja. Das ist auch solch ein Satz, wie man ihn in Mitteldeutschland nicht selten hört. Und das, was gewesen ist, woher du kommst, trägst du wie einen Rucksack durch die Zeit.

Davon erzählen die Bilder von Stephanie Kiwitt. „Flächenland“ hat die 1972 in Bonn geborene Fotografin und hallesche Burg-Professorin den Ertrag ihrer Recherche-Reise durch Sachsen-Anhalt genannt. Überwiegend im ländlichen Raum, in Dörfern und kleinen Städten war sie von 2020 bis 2022 unterwegs. Im Köthener Schloss, das wie Dornröschen darauf wartet, wachgeküsst zu werden, sind die poetisch-dokumentarischen Arbeiten nun bis Mitte April zu sehen.

Stille Wucht

Ergänzt werden sie von sinnlich überhöhten, fast schmerzhaft präzisen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die den Titel „Fortlaufend“ tragen und einem in ihrer stillen Wucht den Atem nehmen können. Diesen Bildern begegnet man zuerst, bevor man zu den kleinformatigen, farbigen Fotografien in den dahinter liegenden Räumen gelangt, um am Ende des Parcours zu den Großformaten zurückzukehren. Nun wird der gedankliche Kreis geschlossen. Denn ins Offene weisen die Bilder allesamt, wenn man sich darauf einlassen will, Vertrautes mit dem Blick der Künstlerin neu zu sehen.

„Flächenland“, gefördert von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Anhalt-Bitterfeld, ist eine kunstvolle, sozio-kulturelle Zustandsbeschreibung des Landes: Klar und sachlich, aber man nimmt den Bildern in jedem, auch dem scheinbar tristesten, vielleicht sogar deprimierendsten Moment die Empathie der Frau hinter der Kamera ab.

Nicht eine Spur von Voyeurismus ist zu sehen, Realismus allerdings unbedingt. Wem die Kompromisslosigkeit dieses liebevollen Hinschauens nicht ganz geheuer vorkommt, wer lieber blühende Landschaften sehen würde, muss über Schönheit vielleicht noch einmal neu nachdenken.

Niemals Verrat

Stephanie Kiwitt, die in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Fotografie studiert hat und ihren Osten also schon etwas länger kennt, beschönigt zwar nichts, aber sie entblößt oder verrät dabei ihre Sujets, die Häuser, Landschaften und Menschen (ob im Bild oder nicht) niemals. Vielmehr macht sie in der Summe ihrer Bilder (und mit jedem einzelnen von ihnen) kenntlich, was man, beherzt und ohne Scheu vor Pathos gesagt, die Seele dieses Landes nennen darf.

Für Entdeckungen solcher Art braucht es nicht nur handwerkliches Vermögen, sondern auch Zeit und vor allem Neugier, die im Kunstgeschäft wie im Journalismus (und auch in der Politik) selbstverständlich sein sollte. Eigentlich. Stephanie Kiwitt verfügt jedenfalls über diese Tugend. Sie hat sich das „Flächenland“ Sachsen-Anhalt über zwei Jahre lang zu Herzen genommen, billiger ist Relevanz oft nicht zu haben.

Auf den meisten der fabelhaft präzise und zielführend geschnittenen Bilder, in die man sich verlieben kann, wenn einem diese Region mit ihren Schrunden und Wunden nahe ist, wird man zunächst gar nichts Besonderes entdecken. Und dann wird man hineingezogen in die Alltäglichkeit, die ihre Geschichte, ihre Herkunft mit jeder Unvollkommenheit zeigt wie hier: Die Fassade eines Hauses, ursprünglich wohl Teil eines Bauerngehöfts, dessen Putz zur Straße hin schadhaft, teils verloren ist. Feldsteine liegen frei, aber sie liegen offensichtlich auch fest wie seit Jahrhunderten.

Aus verschiedenen Epochen

Die hölzerne Eingangstür ist sehr alt, die Fenster stammen aus verschiedenen Epochen und wirken hilfsbedürftig. Aber das Ziegeldach, das man nur angeschnitten sieht, ist neu, hier haben Menschen etwas vor! Junge Leute, stellt man sich vor. Vielleicht gehört ihnen der Kleinwagen, dessen Kühler ins Bild ragt.

Diese Fotografie allein erzählt so viel über den Ort und seine Bewohner, von denen man keinen zu sehen bekommt und auch nicht sehen muss, dass einem schon wieder etwas Pathetisches beikommt: Was hier beobachtet und im Hintergrund verhandelt wird, ist die Würde, die den aufgegebenen, verlassenen Orten und jenen, die früher dort lebten, eigen ist.

Eine der großen, schwarz-weißen Aufnahmen, die auf dieser Seite abgebildet ist, verstärkt diesen Eindruck noch ins Sinnbildliche: Man sieht eine gespaltene Mauer, deren auseinanderstrebende Teile durch ein starkes Bandeisen verbunden und zusammengehalten werden – einstweilen jedenfalls. Vergangenes und Künftiges, alles erzählt sich aus dem Jetzt dieser Bilder, das im Moment des Betrachtens ja selbst schon in der Vergangenheit liegt. Und das Kommende? Muss nicht gut werden, aber es kann. So ist die Lage.

Die Ausstellung mit Fotografien von Stephanie Kiwitt im Köthener Schloss ist bis 14. April Mi-So 10-17 Uhr zu sehen. Am 20. Januar, 12 Uhr, führt die Künstlerin durch die Schau. Am 29.2. gibt es dort ab 18 Uhr eine Szenische Lesung mit Einwohnern unter anderem aus Sandersleben, Hettstedt und Halle.

"Fortlaufend", 2022
„Fortlaufend“, 2022

(Foto: Kiwitt)

"Flächenland ( Dedeleben), 2020-22
„Flächenland ( Dedeleben), 2020-22

(Foto: Kiwitt)

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