Staatsaffäre um ein Lied – Wie Ost und West vor 40 Jahren in den kalten Rockkrieg rutschten

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Halle/Leipzig/MZ. Selig die, die eine Karte hatten. Winzig klein waren die Dinger, 20.05 Mark teuer (inklusive Kulturfünfer), und schmutzig grün wie Kinobillets. Nächtelang hatte man dafür geduldig angestanden, mitten im eiskalten Januar 1984. Es ging um alles! Die „BRD- Rockgruppe BAP“, nach der Veröffentlichung ihrer Erfolgsplatte „Vun drinne noh drusse“ auch in der DDR zu Superstars avanciert, sollte durch zwölf Städte touren. Ein Jahrhundertereignis. Auch, weil die Eintrrittskarten diesmal zumindest zum Teil frei verkauft wurden.

BAP-Konzerttour 1984: Traum der Rockfans in der DDR

Ein Traum der Rockfans in der DDR schien wahr zu werden. BAP in der DDR! Was viele andere West- Rockgruppen „“wieder und wieder vergeblich versucht hatten, fiel. Wolfgang Niedecken und seinen Kollegen wie von selbst in den Schoß. „Die Künstleragentur der DDR hatte uns eingeladen“‚, erinnert sich Niedecken später in einem Gespräch mit der MZ, „und da haben wir natürlich nicht gefragt warum, sondern zugesagt“.

Warum, war ohnehin klar: BAP galten der SED-Kulturaufsicht laut einem internen Parteipapier aufgrund ihrer zuweilen friedenskämpferischen Texte als „ein Bündnispartner im besten Sinne“. Die Tour der sieben Kölner durch die sich bis dahin vor allem von westdeutschen Rockgruppen konsequent abschottende DDR sollte die Bereitschaft der DDR-Staatsmacht belegen, „auch mit dem Teufel zu paktieren, wenn es um den Frieden geht“ (Honecker).

BAP hätte in einer Turnhalle in Halle-Neustadt auftreten sollen. Das Konzert war wie die gesamte Tour längst ausverkauft.
BAP hätte in einer Turnhalle in Halle-Neustadt auftreten sollen. Das Konzert war wie die gesamte Tour längst ausverkauft.

Foto: Steffen Könau

Die Ankündigung der Tournee schlug wie eine Bombe ein. Binnen weniger Tage waren die 45.000 Eintrittskarten ausverkauft. BAP traten bei der FDJ-Jugendsendung „rund“ im DDR-Fernsehen auf, spielten drei Lieder zum Playbackband und sagten ein paar Worte.

Die 2.000 Auserwählten in der Magdeburger Hyperschale rasten. Die restliche DDR-Jugend klebte am Fernsehschirm. Alles schien gut. Die riesengroße BAP-Fangemeinde im Osten fieberte nun dem 14. Januar 1984 entgegen, dem Tag, an dem ihre Band beim „Festival für den Frieden“ in Berlin ihre ersten richtigen Rockschritte in den real existierenden Sozialismus tätigen sollte.

BAP-Konzert 1984: Absage im Fernsehen

Doch dann kam alles anders. Die Fans erfuhren es aus dem Fernsehen. „Herzlich willkommen!“, tönte der blaubehemdete „rund“-Moderator am Abend des langersehnten 14. Januar von der Bühne des „Palast der Republik“ in die Kameras. „Ihr wißt, daß an dieser Stelle eigentlich die Gruppe BAP aus der BRD auftreten sollte. Aber die Gruppe sah sich nicht in der Lage, unter dem Symbol der weißen Taube auf blauem Grund aufzutreten. Die Gruppe ist gestern abgereist. . . Stattdessen spielen nun die Puhdys.“

Pfiffe. Buhrufe. Enttäuschung machte sich Luft. Aufgebrachte BAP-Anhänger verließen den Saal in Massen. In Leipzig, wo die härtesten Fans an der „Leipzig- Information“ mehr als zwanzig Stunden nach Karten angestanden hatten, sammelten sich junge Leute spontan zu einem Protestmarsch, gegen den die Polizei einschritt. In Halle kam es bei der Rücknahme der Eintrittskarten zu Rempeleien und tätlichen Auseinandersetzungen.

Jahre später kam Wolfgang Niedecken doch noch nach Halle - und posierte mit Händel auf dem Marktplatz.
Jahre später kam Wolfgang Niedecken doch noch nach Halle – und posierte mit Händel auf dem Marktplatz.

Foto: Steffen Könau

„Und das alles wegen eines Liedtextes, den im Konzert wahrscheinlich sowieso kein Mensch verstanden hätte“, schüttelt Wolfgang Niedecken noch heute den Kopf. „Deshalv spill mer he“ hieß das dreistrophige Stück in F-Dur, das die DDR-Mächtigen als Kriegserklärung verstanden. Von Niedecken geschrieben, „weil wir klarmachen wollten, daß wir uns auch in der DDR vor keinen offiziellen Karren spannen lassen“, mußte das Lied auf die DDR-Offiziellen wie ein Schuß aus dem Hinterhalt wirken.

Eben noch war man ein Herz und eine Seele gewesen im „Kampf gegen den Nato-Raketenbeschluß“ (DDR-Parole) – da plötzlich sangen die Verbündeten ohne Rücksprache mit der DDR von „kalten Kriegern, hochgeschätzt in Ost und West“, einer „Clique, die sich Volksvertreter nennt“ und einem Schmied, der ,,’ne SS 20 zu ’nem Traktor“ und „Pershing zu ner‘ Lok“ macht. „Als ich den Text zum ersten Mal sah“, erzählt FDJ-Kulturmanager und BAP-Betreuer Gerd Gampe über den Tag vor Tourneebeginn, „wußte ich gleich, daß der ein Problem bringt“.

„Der „absolute Crash“

Gampe begab sich mit dem Textblatt in der Hand sofort zum FDJ- Kulturchef Hartmut König und „informierte, daß es den absoluten Crash gibt, wenn die Sache nicht geregelt wird“ (Gampe). Beim Zentralrat der FDJ klingelten die Alarmglocken. Man ergriff Maßnahmen. Was folgte, war ein zweitägiges Trauerspiel, an dessen Ende für viele DDR-Jugendliche der endgültige Abschied von der Möglichkeit einer reformierbaren DDR stand.

„Wir warteten im Hotel auf die Leute von der Künstleragentur, um den bis dahin nur mündlich ausgehandelten Vertrag zu unterschreiben“, erzählt Niedecken. Bei der Durchsicht des Vertragsentwurfes stolperten die Kölner über eine Stelle, die von ihnen verlangte, dem Veranstalter eine sogenannte „Repertoireliste“ vorzulegen. Die Westrocker witterten Zensur. „Das unterschreiben wir nicht“, hieß es kategorisch. Mündlich hatten sich BAP im Vorfeld zusichern lassen, „dass das Programm allein unsere Sache ist“.

Davon wollte man nicht abrücken. „Wie wichtig das war, war uns nach der dieser rund-Sendung klargeworden“, denkt Niedecken zurück. Kritische Bemerkungen zur Rüstungspolitik des Warschauer Paktes, die der BAP-Sänger während der Proben noch unbehelligt hatte sagen dürfen, kamen in der live-Sendung nicht mehr vor. „Wir standen nach unserem zweiten Titel auf der Bühne und warteten auf den Interviewer“, erinnert sich Niedecken, „aber der kam nicht. Stattdessen lief auf einmal das Playback-Band weiter“.

Noch einmal wollten sich Niedecken und Co. nicht „über den Tisch ziehen“ lassen. „Der Passus muß ‚raus“, forderte die Band einhellig. Der Passus bleibt drin, bestimmte die DDR-Künstleragentur, die im fraglichen Paragraphen eine Möglichkeit sah, die Aufführung von „Deshalv spill mer he“, zu verhindern. Passus raus stand gegen Lied raus.

In stundenlangen Diskussionen suchte man nach einem Kompromiß. „Man bot uns an, auf dieses eine Lied zu verzichten und ansonsten machen zu können, was wir wollen“, beschreibt Niedecken das letzte Angebot der DDR-Seite. „Sollten wir dem nicht zustimmen, würden sie den Vertrag nicht unterschreiben können.“ Ein Eklat bahnte sich an.

Keiner kann nachgeben

„Keine Seite konnte nachgeben“, analysiert der BAP-Chef heute. Die DDR-Offiziellen und FDJ-Funktionäre hatten in „Deshalv spill mer he“ (erschien später auf der „Zwesche Salzjebäck un Bier“-Lp) inzwischen ein „den realen Sozialismus in der DDR herabwürdigendes und beleidigendes Lied“ erkannt.

Das konnte nur ein „Störversuch des Gegners“ sein, den es mit allen Mitteln zu verhindern galt. BAP wiederum hatten sich im Vorfeld der Tournee „schon viel zu weit aus dem Fenster gelehnt“ (Niedecken): Man werde sich keinesfalls zensieren lassen, hatte die Band immer wieder betont. Lieber lasse man das ganze Unternehmen sausen.

So schaukelten sich die Mißverständnissse zur Staatsaffäre hoch. „Im Zentralrat diskutierten sie hinter verschlossenen Türen die Folgen einer Tourneeabsage auf den Kulturaustausch der beiden deutschen Staaten“, berichtet Gampe. BAP hingegen, damals nach eigener Ansicht „ein naiver Haufen absoluter Greenhorns“, sahen ihre Glaubwürdigkeit bedroht. Also keine Kompromisse.

„Es ging einfach nicht anders. Wir lassen uns nicht in unsere Sache pfuschen“, versuchte der damalige BAP-Tourmanager Klaus Dröscher zu erklären.. „Wenn wir uns zensieren lassen, wie hätten wir den Fans in der DDR dann noch in die Augen blicken können?“ So reisten BAP sechs Stunden vor Beginn ihres ersten DDR-Konzertes ab.

Spielverbot für BAP: Rückfall in den kalten Rockkrieg

Und die DDR, eben noch scheinbar bereit, die Rocker aus Köln ohne Beschränkungen agieren zu lassen, fiel zurück in die finstersten Zeiten des kalten Krieges gegen den Rock’n’Roll. Alle Radiosender verhängten ein Spielverbot für BAP-Titel, in Zeitungen und Zeitschriften kamen die eben noch hochgejubelten Kölner Rocker ab sofort nicht mehr vor. Wolfgang Niedecken und die anderen Gruppenmitglieder werden binnen weniger Stunden zu „unerwünschten Personen“.

Als der BAP-Sänger und seine Kollegen am Abend des 13. Januar aus Westberlin in die DDR einreisen wollen, um den viertausend wartenden Fans im Palast der Republik wenigstens zu erklären, warum BAP nicht auftreten, wird er von den Grenzposten zurückgewiesen.

Manager Balou Temme und Keyboarder Alexander „Effendi“ Büchel, denen die Einreise gelingt, werden kurz nach ihrer Ankunft im „Palast“ von mehreren unauffälligen Herren aufgefordert, ihre Eintrittskarten zu zeigen. Als Effendi Büchel seinen „Sonderausweis für Mitwirkende“ zückt, erklärt man ihm, daß der nicht mehr gelte. Fünf Minuten später stehen auch die beiden letzten illegalen BAP-Abgesandten draußen vor der Tür.

Pop im Politbüro

Drinnen spielen derweil die Puhdys deren Keyboarder Peter Meyer die harte Linie der DDR gegen BAP später in einer Ergebenheitsadresse begrüßt: „Ich halte das Ganze für eine Provokation. Ich glaube, es gab von unserer Seite keine Alternative.“ Getrieben von der Angst, durch die „BAP-Schlappe“ könne der Staat auch wieder strenger mit den einheimischen Rockgruppen umgehen, äußern sich auch andere Rocker: Irgendwer habe BAP wohl „umgedreht“, vermutete Martin Schreier von Stern Meißen. „Die Kumpels sind nicht gutwillig an die Sache ‚rangegangen“, befindet Bernd Aust von Electra. Und Rüdiger Barton von Silly erklärt gegenüber der westdeutschen DKP-Zeitung „UZ“, die DDR habe konsequent sein müssen: „Wir lassen uns nicht auf den Tisch kotzen“.

Im Politbüro der SED sah man das ähnlich. Bereits am 17. Januar 1984 setzte Erich Honecker den Tagesordnungspunkt „Auftreten von Rockgruppen aus der BRD“ auf die Tagesordnung. Eine Woche später beschloß das SED-Zentralkomitee: „Der Empfang von Künstlern und Gruppen aus der BRD ist maximal einzuschränken. Generell soll künftig auf Gastspiele von Rockgruppen verzichtet werden,“ Die bis zum 13. Januar 1984, 14 Uhr, zugeschüttet scheinenden Gräben zwischen Ost und West klafften nun wieder tief wie ehedem.

Bis zum ersten BAP-Konzert in Halle sollte es von diesem Tag an noch zehn Jahre, einen Monat und elf Tage dauern.

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