Halles scheidender IHK-Chef Steffen Keitel: Sein bitteres Fazit

0

Halle/MZ – Nach fünf Amtsjahren gibt Steffen Keitel seinen ehrenamtlichen Posten als Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) ab. Es sei eine Zeit im „ständigen Krisenmodus“ gewesen, sagte der Unternehmer beim Neujahrsempfang der Kammer am Mittwochabend in der Händel-Halle in Halle. Seine Begrüßung nutzte der 65-Jährige für eine Art Abschiedsrede.

Nach seinen Worten hat die Wirtschaft im südlichen Sachsen-Anhalt die Corona-Pandemie und die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Krieges bisher gut gemeistert. „Wir stehen im Maschinenraum und merken als erstes, wenn der Motor nicht rund läuft, wenn Ersatzteile fehlen, wenn die Energie ausbleibt“, sagte Keitel. Er habe in seiner Amtszeit stets versucht, die Probleme klar zu benennen. „Offenheit und Kritik wird in der Politik aber nicht geschätzt“, ist sein eher bitteres Fazit.

Weniger Selbstständige in Deutschland, dafür mehr Angestellte im öffentlichen Dienst

Kritik übt er allerdings fast ausschließlich an der Bundesregierung: Sie habe durch die Abschaltung der Atomkraftwerke mit dafür gesorgt, dass sich das Energieangebot verringert und die Preise erhöht haben. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine forderte Keitel im September 2022 auch die Öffnung der umstrittenen russischen Gaspipeline Nord Stream 2. Das wurde damals kontrovers diskutiert. Durch die Sprengung der Pipelines Ende September 2022 war das Thema politisch vom Tisch – obwohl eine Gasleitung noch funktionsfähig ist. Keitel sprach sich zuletzt auch dafür aus, durch sogenanntes Fracking wieder selbst mehr Erdgas in Deutschland zu fördern.

Das zwingt die stärkste Volkswirtschaft in die Knie.

Steffen Keitel, IHK-Präsident

Der scheidende IHK-Präsident sieht die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland generell kritisch und machte das am Mittwochabend an drei Zahlen deutlich: In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf mehr als fünf Millionen gestiegen, die Zahl der Selbstständigen unter vier Millionen gesunken und die Zahl der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger liege bei rund vier Millionen. Es werde viel verwaltet, aber weniger geschaffen. „Das zwingt auch die stärkste Volkswirtschaft in die Knie“, meinte Keitel.

Aufrufe zu Protesten auf der Straße wie zuletzt von Bauern, Fuhrunternehmer und Handwerker hat der IHK-Chef jedoch nie getätigt. „Die Kammer ist unabhängig und neutral.“

In seiner Amtszeit schaltete sich der Geschäftsführer der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt Halle jedoch einmal ausdrücklich politisch ein. Im November 2022 veröffentlichte die IHK Halle-Dessau gemeinsam mit der IHK Gießen-Friedberg (Hessen) und IHK Cottbus (Brandenburg) eine ganzseitige Anzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit der Überschrift: „Gesellschaft und Wirtschaft brauchen Frieden“. Mit der ungewöhnlichen Aktion wollten die Kammern unter anderem folgende Botschaft an die Bundesregierung senden: Diese solle sich aktiver für ein Ende des Krieges in der Ukraine einsetzen. Wörtlich hieß es: „Wenn nicht über Frieden gesprochen wird, bleibt er schlicht unerreichbar.“ Keitel betonte im Nachgang zwar, dass es eine Botschaft an die gesamte Gesellschaft gewesen sei – keine ausdrückliche Kritik an der Bundesregierung. Doch als solche wurde die Anzeige aber von vielen verstanden.

Der MZ sagte der 65-Jährige: „Ich habe zum Ende meiner beruflichen Laufbahn die Zeit als IHK-Präsident genossen.“ Er habe noch einmal seinen Horizont erweitern können.

So scharf seine Kritik an der Bundesregierung ausfällt, so sanft geht Keitel mit der Landesregierung um: „Auf das Krisenmanagement der Landesregierung ist Verlass.“ Diese „engagiere sich wirklich“. Sowohl in der Energie- als auch Industriepolitik sind sich IHK und Landesregierung in vielen Punkten einig.

Nachfolge ist noch nicht geregelt

Keine glückliche Hand bewies Keitel bei der Regelung seiner Nachfolge. Eigentlich sollte im Dezember 2023 ein neuer IHK-Chef gewählt werden. Doch das scheiterte, weil im Präsidium keiner der beiden Kandidaten eine Mehrheit fand. Angetreten war nach MZ-Informationen die bisherige IHK-Vize-Präsidentin Elke Simon-Kuch. Doch die bekannte Unternehmerin und CDU-Landtagsabgeordnete fand mutmaßlich keine Zustimmung, da aktuell ein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft. Es besteht der Verdacht des Subventionsbetrugs mit Corona-Hilfsmitteln. Offiziell und auch gegenüber Mitgliedern der Vollversammlung äußert sich die IHK-Führung dazu nicht. Das stößt einigen Firmenchefs auf, die von „Hinterzimmer-Politik“ sprechen. Im März steht der nächste Wahltermin an. Keitel versicherte am Mittwoch noch einmal, dass er beim nächsten Neujahrsempfang nicht mehr auf dem Podium stehen werde.

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.