Ein malender Poet mit Pferd und Tapir

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Halle/Berlin/MZ.Nichts als Lieblingsgedichte in diesem Band. Dieses zum Beispiel, das auch auf dem Rücktitel seines jüngsten, von Hendrik Liersch in der Berliner Corvinus Presse verlegten Buches zu lesen ist: „alle sterben aus / naja, dann ist das so / die guten / und die bösen / sowieso / die zeit / sieht schlecht aus / der raum / ist nur noch ein gebiet / wir können uns retten / wenn wir netter / zu blumen werden / dann  könnten sie uns retten“. Der Gedichtband, nicht der erste, nicht der letzte bei Corvinus, heißt „Tanz der Tapire“, illustriert vom Verfasser selbst: Petrus Akkordeon.

Welch ungewöhnlicher Name, was für erstaunliche Texte: Blumen, die uns retten könnten? Und wie kommt er ausgerechnet auf Tapire? Auch Pferde und Katzen liebt er, wie er bereitwillig verrät. Ein sanfter, aber sehr bestimmt wirkender Mann jedenfalls. Ein origineller Denker, keine Frage. Das schmeckt man seinen Texten ab und hört es, wenn man mit ihm spricht. Und alles Rätselhafte fällt wie selbstverständlich ab von ihm, das vielleicht sonderbar Erscheinende. Das Besondere, das Unverwechselbare aber bleibt, das zeichnet den Zeichner und Dichter Petrus Akkordeon aus. Man kann es auch Haltung nennen.

Welche seiner beiden Professionen der Hauptberuf ist? Das wollten viele wissen, Petrus Akkordeon lacht: „Für mich bedeutet es keinen Unterschied, ob ich schreibe oder zeichne. Es ist eins. Und poetisch ist beides.“ Stimmt. Allerdings: „Zeichnen kann ich immer, das tue ich täglich, dabei fühle ich mich sehr wohl“, sagt er und nennt das Bildnerische in seinem Schaffen einen angenehmen Prozess, währenddessen er genießt, was unter seinen Händen entsteht. Das Schreiben funktioniert anders: „Manchmal träume ich komplette Gedichte. Dann erwache ich, stehe um vier Uhr morgens auf, um sie niederzuschreiben.“ Und die Voraussetzung für das Entstehen seiner Poesie beschreibt er so: „Wenn Gefühle übermächtig werden, schreibe ich Gedichte.“

Petrus Akkordeon wurde 1971 in Westberlin geboren, natürlich unter einem anderen Namen. Jean-Pierre Batailde heißt er eigentlich, sein Vater, eigentlich ein Bauer, kam nach seinem Dienst in der französischen Fremdenlegion als alliierter Soldat nach Berlin.

„Sorry“, er habe sich schon ein paar Mal entschuldigt, schreibt Petrus Akkordeon in einem seiner lakonischen Gedichte, „beim sterbenden vater am bett / dasz er mich nicht liebte“. Paradoxer Vers, großartiger Gedanke, die ganze Geschichte von Vater und Sohn steckt darin. „Er hätte besser Bauer bleiben sollen“, sagt Petrus Akkordeon in unserem Gespräch knapp. Auch so ein Gänsehautsatz.

Verborgene Haken

Leicht kommt man lesend auf den Verdacht, dass bei diesem Dichter auch Philosophie eine Rolle spielen muss – so leichtfüßig und spielerisch die Texte auch daher zu kommen scheinen. Man muss schon höllisch aufpassen, um die eingebauten Widerhaken gleich mitzubekommen. Das sieht er auch so und ist im Übrigen der Meinung, dass man dem Publikum gerade bei Lesungen nicht zu viele Gedichte zumuten sollte. Vielleicht auch ein zweites Mal lesen. Und keinesfalls zu schnell.

Was die Philosophie angeht, natürlich hat sie ihn beizeiten interessiert. Auch Psychologie und Religionswissenschaften hat er zu studieren begonnen. Und alles abgebrochen. Beim Kunststudium ist er dann geblieben. Das Zeichnen, das Schreiben, Menschen und Pflanzen und Tiere sind die Koordinaten für Petrus Akkordeon. Tiere wie der Tapir eben, ein Tier, das „so unbegreiflich, geheimnisvoll und eigenbrötlerisch ist“, sagt er. Eigentlich weiß man nicht viel über Tapire – vielleicht gerade noch, dass sie mit den Pferden verwandt sind: „Aber unheimlich viele Menschen mögen Tapire.“ Er auch.

Einmal hat er im Berliner Zoo einen ganzen Tag vor dem Tapir-Gehege gesessen und versucht, etwas über die Tiere herauszufinden, quasi „ins Gespräch zu kommen“. Und irgendwann, sagt Petrus Akkordeon, habe sie, Ronja, zu erkennen gegeben, dass sie ihn, den Besucher, bemerkt hatte. Natürlich fiel sein Verhalten auf. Da hockt ein Mann einen geschlagenen Tag lang vor den Tapiren: „Der Wärter ist ganz unruhig geworden“, erzählt der Dichter. Aber der Fall ließ sich schnell klären. Dass Menschen Tiere mögen, sollte in einem Zoo ohnehin nicht für größere Verwunderung sorgen.

Petrus Akkordeon besitzt auch ein Pferd, das lebt in Brandenburg, „weit weg von Berlin, am Ende der Welt“. Einmal wöchentlich besucht er Norman, den er an der Nordsee zum ersten Mal sah, einen wilden Burschen seinerzeit. Inzwischen ist Norman 20. „Jetzt, da er und ich älter werden, verstehen wir uns immer besser“, sagt Petrus Akkordeon. Sie haben gemeinsam für den Marathonlauf trainiert, er joggend, Norman lief mit. Zweimal hat der Dichter diese selbst auferlegte Prüfung bestanden. Da klingt unüberhörbar Stolz durch. Und dann sagt er noch diesen Satz: „Das Menschsein habe ich von ihm, von Norman gelernt.“

Das Gespräch mit Menschen, Tieren und Pflanzen – es liegt auf einer Ebene für ihn. Dann kommt man auf Verse wie jenen, in dem er schreibt, dass die Blumen uns retten könnten. Er nennt das selbst einen „ernsten, tief empfundenen Gedanken von mir“. Aber er weiß auch: „Man kann die eigene Erkenntnis den Leuten nicht überhelfen.“ Sie müssten es schon spüren, dafür sind Gedichte, dafür ist Kunst da. Eigentlich sei er gar kein Großstädter. Dafür ein Gärtner. Mehrere Jahre lang hatte er eine Verkehrsinsel „besetzt“ und begrünt, er nennt diesen Platz „eine kleine Oase mitten in der Stadt“.

Rätselhafte Tiere

In seinen liebevoll ausgeführten Tapir-Zeichnungen erscheinen die Tiere so rätselhaft, wie sie sind. Das ist schön, weil es ihnen ihre Würde lässt. In seinen Gedichten, das macht dann doch einen Unterschied der beiden Genres, lässt sich Petrus Akkordeon schon mal in die Karten sehen: „als kind / spielten wir im sand / ich dachte uns  / eine zeitmaschine / wir überlegten / wer hitler / erschiessen würde / nun ja / oder / sich ans Kreuz nageln lassen / sowas eben.“

Petrus Akkordeon, der sanfte Mann mit dem langen, im Nacken gebundenen Haar, ist nicht aus der Zeit gefallen – er besetzt die Zeit für sich. Schreibt, zeichnet, genießt das Ganz-Sein und erkennt Widerspruch an. Man kann es niemandem überhelfen, wie er sagt. Auch jenen in Nadelstreifenanzügen nicht, denen er ohnehin „erstmal misstraut“. Aber auch hier kommt es auf das Wort an. „Erstmal“ heißt nicht für immer. Petrus Akkordeon ist ein freundlicher Mensch.

Weitere Informationen: www.corvinus-presse.de

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