Der Mann, der Sachsen-Anhalt erfand

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Halle/MZ. – Mag er zuerst und vor allem als Schriftsteller in Erinnerung geblieben sein, so darf der Merseburger Siegfried Berger (1891-1946) auch für sich beanspruchen, ein geistiger Vater Sachsen-Anhalts zu sein. Seit den 1920er Jahren beschäftigte er sich – erst als Journalist, dann als Mitarbeiter des damaligen Landeshauptmannes und späteren ersten Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts Erhard Hübener (1881-1958) – mit der Frage der Neugliederung Mitteldeutschlands, dessen Zentrum die Provinz Sachsen mit Merseburg als Verwaltungssitz war.

Hübener und Berger entwickelten Ideen, wie die territoriale Zersplitterung der Region zu überwinden wäre. Die wurden 1927 in der Denkschrift „Mitteldeutschland auf dem Wege zur Einheit“ publiziert. Demnach sollte Mitteldeutschland in die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegliedert werden, weil Hübener und Berger etwa eine mitteldeutsche Großprovinz, wie sie damals die Stadt Leipzig ins Spiel brachte, „für zu groß hielten, um eine moderne und effektive Verwaltung zu gewährleisten“.

So zu lesen in der ersten umfassenden Siegfried-Berger-Biografie, die der Magdeburger Historiker Mathias Tullner unter dem lyrischen Titel „Heimgekehrt bin ich aus fernen Welten“ im Mitteldeutschen Verlag vorlegte. Der Autor ist ein vorzüglicher Kenner der Landesgeschichte Sachsen-Anhalts und hat sich zuvor bereits mit dem Wirken Erhard Hübeners intensiv auseinandergesetzt.

Der Journalist wird Politiker

Der war von Dezember 1946 bis Oktober 1949 der erste Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt und als solcher der einzige nichtkommunistische Regierungschef in der Sowjetischen Besatzungszone. Von Hübener zu Berger ist es gedanklich nur ein kleiner Schritt und deshalb konsequent, dass Tullner Berger jetzt eine ebenso ausführliche wie lesenswerte Darstellung widmet.

Dass Berger einmal Landespolitiker werden und es im Jahr 1945 im Zuge des Wiederaufbaus der politischen und kulturellen Verwaltung in der Provinz Halle-Merseburg zum Präsidenten des Verwaltungsbezirks Merseburg bringen würde, ist dem Sohn eines Merseburger Gymnasiallehrers und Domkantors nicht an der Wiege gesungen worden. Berger studierte in Tübingen, Berlin, Halle und Marburg, wo er 1918 mit einer Dissertation über Johann Gottlieb Fichte promoviert wurde. Als seine wiederholten Versuche, in den Schuldienst einzutreten, erfolglos blieben, wandte sich Berger dem Journalismus zu, wurde Redakteur, später Chefredakteur des „Merseburger Korrespondenten“. Als engagierter politischer Publizist fiel er Landeshauptmann Hübener auf, der ihn 1927 in seinen Stab berief. Dass beide, Hübener wie Berger, der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehörten, mag die Entscheidung begünstigt haben.

Breites Aufgabengebiet

Obwohl ein Seiteneinsteiger, ging Berger in seiner neuen Aufgabe – unter Zurückstellung seiner literarischen Ambitionen – auf. Immer wieder rühmt sein Biograf die große Arbeitskraft Bergers, der 1928 zum Landesrat gewählt wurde und als solcher ein breites Aufgabengebiet hatte. So war er etwa für das Presseamt, für das Blinden- und Taubstummen-Wesen und für Kulturangelegenheiten in der Provinz zuständig. In letzterer Funktion lag auch das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt in seinem Verantwortungsbereich. Keine Frage, ein gewaltiges Pensum für einen Verwaltungsbeamten.

Da man auch im NS-Staat nicht auf Bergers Expertise verzichten wollte, konnte er nach 1933 im Staatsdienst bleiben. Dennoch wurden einige politische Schriften Bergers im Dritten Reich verboten. „Er hat die NS-Herrschaft als ein Unglück, aber als gegeben hingenommen“, lautet das Fazit seines Biografen. Der kann auch berichten, dass in den von Berger überlieferten Schriftstücken keinerlei Bekenntnisse zur NS-Ideologie zu finden seien. Auch trat Berger, obwohl dazu aufgefordert, nicht der NSDAP bei. Aus diesen Gründen empfahl sich Berger auch für den Neuaufbau der Verwaltungsstrukturen nach 1945.

In Vergessenheit geraten

Tullner hat eine primär politische Biografie Bergers vorgelegt, in der dessen literarisches Schaffen nur schlaglichtartig beleuchtet wird. Das aber ist zu verschmerzen, weil Bergers Verdienste um jenes Land, das heute – wieder – Sachsen-Anhalt heißt, in dieser Ausführlichkeit noch nicht gewürdigt wurden. Dessen literarisches Werk zu analysieren, das unter anderem fünf Romane, 13 selbstständige Erzählungen, 61 Geschichten in Sammelbänden umfasst, wird sich noch Gelegenheit finden.

Tragisch indes, dass Berger die territoriale Neugestaltung des Landes nicht mehr erleben konnte – mochte die auch nicht von langer Dauer gewesen sein. Der Merseburger Autor und Politiker starb im März 1946 im Alter von nur 54 Jahren. Erst im Dezember des Jahres wurde sein langjähriger Freund und Kollege Erhard Hübener zum Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts ernannt.

Bergers Leistungen als Landespolitiker und Schriftsteller gerieten bald in Vergessenheit, weil die kommunistisch-stalinistische Diktatur, die in der Sowjetischen Besatzungszone etabliert und 1949 mit der DDR zum Staat wurde, „eine ganz andere Identitäts- und Traditionspolitik verfolgte“, so Mathias Tullner. Spätere Versuche des Leipziger Germanisten Hans-Martin Pleßke, das literarische Werk Bergers den Lesern in der DDR wieder zugänglich zu machen, blieben bis 1989 erfolglos.

Mathias Tullner: „Heimgekehrt bin ich aus fernen Welten“ – Siegfried Berger (1891-1946): Politiker und Schriftsteller, Mitteldeutscher Verlag, 331 Seiten, zahlr. Abb., 16 Euro

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