Das Wunder der Weltwurst

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Haßleben/MZ. – Mit einer 140,4 Meter langen Riesenbratwurst hat das Bratwurstmuseum in Mühlhausen gerade den 620. Geburtstag der echten Thüringer Bratwurst gefeiert, die seit 2003 von der EU als regionale Spezialität anerkannt ist. Das heißt, dass eine echte Thüringer wirklich im Land hergestellt sein muss, wobei die verwendeten Rohstoffe allerdings auch aus anderen Regionen stammen dürfen.

Die einzig richtige Thüringer Rostbratwurst aber gibt es eigentlich nicht: Die Zusammensetzung der Würste unterscheidet sich von Fleischer zu Fleischer, meist sind die Rezepte ein gut gehütetes Geheimnis. Gemein ist allen Rezepturen, dass die Wurst aus Schweinefleisch besteht, erlaubt sind Kalb- oder Rindfleisch als Zutat, der Fettanteil darf bei maximal 25 Prozent liegen. Gewürzt wird mit Salz, Pfeffer, Kümmel, Muskat und Knoblauch. Mancher Hersteller schwört auf die Zugabe von Majoran, Kardamom, Zitronenschale, Bärlauch oder Senfkörnern. Die fertige Wurst ist 15 bis 20 Zentimetern lang und sie hat ein Gewicht von 100 bis 150 Gramm.

Am südlöichsten Ende Europas steht ein Bratwurststand mit Thürngern.
Am südlöichsten Ende Europas steht ein Bratwurststand mit Thürngern.

Foto: Steffen Könau

Eines der Herzen der globalen Bratwurstkultur schlägt in Haßleben, nur 50 Kilometer südlich von Sachsen-Anhalts Landesgrenze. Fleischer Kai Nessel hat seine Fleischerei zur „World of Bratwurst“ ernannt und ihr ein imposantes Logo malen lassen: Eine Bratwurst durchbohrt den Erdball. In zwei Filialen verkauft er hier Thüringer nach eigenem Rezept, die Kunden kommen von weither. Allerdings nur noch einen Monat lang, dann ist Schluss. „Ich finde keine Leute, alles wird immer teurer, ich hatte seit elf Jahren keinen Urlaub“, sagt der Fleischer, der mit seinem Logo damals „mal was Ausgefallenes“ machen wollte. Nun ist es vorbei. Nessel hat einen neuen Job mit festen Arbeitszeiten. „Nur meine Bratwurst, die wird mir selber auch fehlen“, sagt er.

Kai Nessels Bratwurst-Logo: Trotz der Beliebtheit seiner Wüste muss der Fleischer jetzt aufgeben.
Kai Nessels Bratwurst-Logo: Trotz der Beliebtheit seiner Wüste muss der Fleischer jetzt aufgeben.

Foto: Steffen Könau

Das Cabo de São Vicente ist ein Felsen am Meer unter der Sonne Portugals, der den südwestlichsten Punkt Europas bildet. Hinter dem Bratwurststand von Petra und Wolfgang liegen 6.000 Kilometer Atlantikwasser ohne Verpflegungsstelle. An ihrem Imbissstand „Letzte Bratwurst bis Amerika“ bieten die beiden Auswanderer seit zwei Jahrzehnten echte deutsche Bratwurst für hungrige Wanderer und Leuchtturmbesucher. Und obwohl Petra und Wolfgang aus Nürnberg stammen, gibt es hier neben den dort üblichen kleinen Würstlein auch echte Thüringer: Die werden nicht etwa in Portugal gestopft, sondern frisch aus dem grünen Herzen Deutschlands importiert.

Knapp einen Euro kostet eine echte Thüringer auf dem Snake-Alley-Nachtmarkt in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Als „köstliches Würstchen“ beworben und aus magerer Schulter vom Taiwan-Schwein nach einem Originalrezept hergestellt, trifft das exotische Gericht offenbar den Geschmack der Menschenmassen, die Abend für Abend durch die Huahsi-Straße flanieren. Der Deutsche Eckhard Schenk, Gründer der Firma Little Europe, verkauft seine Bratwürste auf der Insel im Pazifik inzwischen auch frisch abgepackt über das Internet. Dazu gibt es Zubereitungs- und Menütipps.: Einfach auf den Grill legen und am besten mit Brötchen und Bautz’ner Senf essen.

So sah der einzige Bratwurststand zwischen Polen und Peking aus.
So sah der einzige Bratwurststand zwischen Polen und Peking aus.

Foto: Steffen Könau

Mit seinem leuchtend gelben Imbiss brachte Armen Frangulyan die Thüringer Bratwurst in den Kaukasus: In Armeniens Hauptstadt Jerewan lockte der kaukasische Grillmeister mit einer Speisekarte, auf der mangels passender Buchstaben von „Tyuringer Bratvurst“ die Rede war. Zu verdanken war das einem Magdeburger: Fleischermeister Bernd Oberländer hatte armenischen Fleischern die verborgenen Geheimnisse der Zubereitung verraten. Benutzt wurde lokales Fleisch, gewürzt mit importierten Gewürzen und Soßen aus Deutschland. Obwohl Frangulyan seinen Kiosk inzwischen geschlossen hat, ist die Bratwurst weiter heimisch in Armenien: Nur ein paar Schritte entfernt bietet ein neuer Laden echte Thüringer an. Er heißt einfach „Bratwurst“.

Aber immer gilt ohnehin: Es gibt keine einheitliche Thüringer und sie hat nicht einmal einen einheitlichen Namen. In der Heimat der Weltwurst trägt die 2022 ins Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommene Spezialität Bezeichnungen wie „Brodwurschd“, „Brahdwuaschd“ oder auch „Roster“. Wegen ihrer identitätsstiftenden Kraft arbeitet die Landesregierung in Erfurt daran, die Bratwurst auf die Unesco-Welterbeliste setzen zu lassen.

In der DDR gehörte die Bratwurst neben der Bockwurst zu den Grundnahrungsmitteln.
In der DDR gehörte die Bratwurst neben der Bockwurst zu den Grundnahrungsmitteln.

Steffen Könau

Ein halbes Jahrtausend blieb die Bratwurst, was sie immer war: Fleisch im Darm − schließlich ist die Geburtsurkunde dieser Art Brühwurst eine Quittung über den Kauf genau solcher Därme, getätigt 1404 von Arnstadter Mönchen. Doch dann kam die DDR-Planwirtschaft und mit ihr der Mangel an Därmen, um Würste zu stopfen. Not machte erfinderisch und so steuerte die DDR mit den „Nackchen“ eine eigene Note zur Bratwurstgeschichte bei: „Nackche“ sind Rostbratwürste, die ohne Darm hergestellt werden, indem Bratwurstbrät einfach direkt in den Brühkessel gespritzt wird. Dort bekommen die Würste im heißen Wasser sofort eine Haut, so dass sie sich im Ganzen aus dem Kessel fischen lassen. Heute gilt das als ganz besondere Spezialität.

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