80 Jahre Einar Schleef: verletzlich, schroff, liebend

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Halle/MZ. – Schleef, der Berserker. Der Bühnenschinder, ein wütender Egomane. Der Mann, der als Jugendlicher aus dem fahrenden Zug fiel, ein Jahr lang im Krankenhaus lag und seitdem gestottert hat. Vielleicht aber auch wegen der Schläge des Vaters. So viele Legenden über diesen Mann aus Sangerhausen im Vorharz. Und so viele Missverständnisse um den großen Kompromisslosen, der wie der aus Meuselwitz, also gleichfalls aus dem Osten stammende Schriftsteller Wolfgang Hilbig (1941-2007) einer der Leuchttürme ist, die aus der deutschen Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ragen.

Unerkannter Toter

Jetzt, am 17. Januar, wäre der Autor, Regisseur, Maler und Bühnenbildner Einar Schleef 80 Jahre alt geworden. Er starb am 21. Juli 2001 in Berlin nach einer Herzattacke, tagelang erfuhr die Öffentlichkeit nicht von seinem Tod. Offenbar niemand von den Menschen, die sich von Amts wegen um den Verstorbenen kümmerten, hat gewusst, welch bedeutender Verlust hier verbucht werden musste.

Tatsächlich hat es Schleef seiner Mitwelt nicht leicht gemacht, das ist jedoch auch nicht der primäre Auftrag des Künstlers. Aber 1998, als er das „Sportstück“ der späteren Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am Wiener Burgtheater zur Uraufführung gebracht hatte, wollte der Beifall gar nicht enden: 43 Minuten hat er gedauert, ist verzeichnet worden. Plötzlich hatten ihn alle lieb.

Probe für „Gertrud“ nach Einar Schleefs Roman 2017 am Deutschen Theater Berlin mit Wolfram Koch, Almut Zilcher (Mitte) und Antonia Bill
Probe für „Gertrud“ nach Einar Schleefs Roman 2017 am Deutschen Theater Berlin mit Wolfram Koch, Almut Zilcher (Mitte) und Antonia Bill

(Foto: Imago)

Was war so besonders an diesem Mann – und was wird in Erinnerung bleiben? Er war ein analytischer, penibler Chronist seiner Zeit, der ostdeutschen Nachkriegsverhältnisse, in denen sich die Menschen aus zähem Nazidreck über Nacht zu sozialistischem Zukunftsbekenntnis erheben sollten. Schleef, der leidende, liebende Heimatsucher ist stets unterwegs nach Hause gewesen. Nach dem Land im Schatten der Bergbauhalden, aus dem er kam. In das er floh, weil es ihm die Luft zum Atmen nahm und das er exemplarisch nahm für die deutschen Zustände überhaupt.

„Zuhause, das sind die Eltern, der Vater, die Mutter, der Schulweg, das Kino, die Dörfer, das Gestrüpp, die Stadt, die man sein Leben nicht loswird. Nie mehr zurück, das verwinden, fliehen, bis man ein eigenes Zuhause hat, was einen erstickt und auffrißt.“ Dies hat Schleef in den 80er Jahren auf Leinwand geschrieben, einen Schrei in eigener Sache, die alle angeht. Und er hat, was spät erst, im Jahr 2008, mit einer großen Werkschau in ehemaligen Karstadt-Kaufhaus an der Mansfelder Straße in Halle gewürdigt worden ist, auch ein malerisches Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Wer etwas über die Einsamkeit der modernen Menschen, also vielleicht auch über sich selbst erfahren will, sollte sich Schleefs mit „Klage“ betitelten Zyklus von Telefonzellenbildern ansehen.

Eigenes Getriebensein

Schleef, der 1976 die enge DDR verließ und auch im Westen wegen seiner künstlerischen Radikalität nicht nur auf Begeisterung stieß, hat die deutsche Geschichte, das eigene Getriebensein, die Abhängigkeiten, die er nicht ertrug, stets persönlich genommen und in großer Gültigkeit verarbeitet. Sein monumentaler Roman „Gertrud“, der Mutter und Sangerhausen gewidmet, steht exemplarisch dafür. Seine Bühnenarbeiten und die Tagebücher bezeugen es ebenso. Wo immer man sie aufschlägt: Die Fundstelle wird einen fesseln.

Über sein Herkommen, die Heimat, hat Schleef 1998 in einem „Spiegel“-Interview gesagt: „Leben kann man dort nicht. Trotzdem ist die Erde da. Ich empfinde das als sehr schmerzhaft, weil es da so schön ist und weil ich da trotzdem nicht existieren kann.“ In dieser Erde ruht er nun. Wo sonst?

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